Der Militärische und Hospitalische Orden des Heiligen Lazarus von Jerusalem ist einer der ältesten der europäischen Ritterorden. Mit heute weltweit ca. 6000 Mitgliedern ist der Militärische und Hospitalische Orden des Heiligen Lazarus von Jerusalem der kleinste der heute noch aktiven Ritterorden aus der Zeit der Kreuzzüge. Unter dem Wahlspruch „Atavis et Armis“ – mit Ahnen und Waffen – engagieren sich seit rund eintausend Jahren Frauen und Männer im Licht des christlichen Glaubens für die Armen und Ausgestoßenen der Gesellschaft. Von den Kreuzzügen bis ins heute reicht die Geschichte der Gemeinschaft mit dem grünen Kreuz. Der Militärische und Hospitalische Orden des Heiligen Lazarus von Jerusalem ist ein internationaler ökumenischer Ritterorden. Er ist gleichermaßen ein militärischer Orden der Barmherzigkeit, dessen Strukturen durch Traditionen gekennzeichnet sind, als auch eine hospitalische und damit karitative Gemeinschaft, gewidmet der Sorge und dem Beistand für die Kranken und Armen. Er besteht aus Frauen und Männern, Laien und Geistlichen, die praktizierende Angehörige einer christlichen Kirche sind und in ihrem Leben den christlichen Glauben aktiv leben wollen. Er ist deshalb in besonderer Weise der Ökumene verpflichtet, unabhängig und international.
Äußeres Zeichen ist ein schwarzer Mantel mit einem achtspitzigen grünen Kreuz, das an die acht Seligkeiten der Bergpredigt Jesu erinnert. Alle Mitglieder sind besonders zur Christusnachfolge aufgerufen und seine Mahnung zu beherzigen: „Was ihr getan habt einem unter diesen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Daher ist – neben der organisierten Hilfe – jeder aufgerufen, im Kleinen seinen Beitrag zur caritas und diaconia zu leisten.
Vom Siechenhaus zur weltumspannenden Gemeinschaft
In der Antike und im Mittelalter gehörte die Lepra zu den stigmatisierensten Krankheiten, nicht nur des Orients, die den Erkrankten zum sprichwörtlichen Aussätzigen machte. Nicht nur die Gesellschaft, auch die Kirche schränkte die Rechte der Betroffenen, beispielsweise in der Ehe und dem Zusammenleben mit anderen, ein. Dabei war Lepra im Mittelalter nicht nur ein Problem des Orients; auch im Abendland finden sich seit dem 13. Jahrhundert verstärkt flächendeckend Leprosorien, Kranken- und Pflegeheime, für die an Lepra erkrankten Kreuzritter und die heimische Bevölkerung. Die Virulenz der Krankheit erlaubte keine Aufnahme in gewöhnlichen Hospitälern, da die aus hygienischen Gründen notwendige Trennung zwischen Leprösen und anderen Erkrankten nicht gewährleistet werden konnte. Im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts – so die Quellenbelege aus dem Turiner Kartularfragment – bildete sich wahrscheinlich aus einem Leprosarium in Jerusalem mit der notwendigen selbstverwaltenden Binnenstruktur – ein Konvent, der sich nach dem armen Lazarus benannte, dem biblischen Aussätzigen, den Jesus von den Toten erweckt hatte. Das Haus lag zwischen dem Davidsturm und dem Stephanstor, außerhalb der nördlichen Stadtmauer von Jerusalem. Spätestens 1185 war eine feste hierarchische Struktur geschaffen, wie die Regeln des Mutterhauses aus diesem Jahr im Statutenbuch von Seedorf beweisen. Die Struktur war durch strenge Gebetszeiten und gegenseitige Unterstützung geprägt. Die gleichsam monastische Natur des Leprosoriums war Voraussetzung dazu, dass sich in kürzester Zeit aus dem Heim ein streng hierarchischer Orden herausbilden konnte. Bereits 1142 lässt die o.g. Urkunde Rückschlüsse darauf zu, wenn die Rede von einem „Konvent der Kranken“ ist, die Bewohner als Brüder bezeichnet werden und unter einem Meister stehend.
Dabei ist bemerkenswert, dass die Bezeichnung Orden (lat. ordo) nicht vorkommt, sondern vom „Haus“ oder „Hospital“ die Rede ist. Dies ist eine Besonderheit der mittelalterlichen Kreuzfahrergemeinschaften, die sich ebenfalls bei den Johannitern und – trotz ihrer Gründung als solcher – den Templern findet; erst spätere Papsturkunden sprechen von milites und stellen die Gemeinschaft damit auf eine Stufe mit den Gemeinschaften, die heute noch als Ritterorden bezeichnet werden. Die besondere Stellung des Lazarus-Ordens wird dadurch unterstrichen, dass 1205 das Livre au Roi in Kapitel 42 regelte, dass an Lepra erkrankte Adlige im Heiligen Land Mitglied des Ordens werden sollten; auch die Templerregel erhält einen ähnlichen Passus. Dies war wohl die einzige Möglichkeit, bei drohender sozialer Separation eine gewisse gesellschaftliche Stellung zu erhalten.
Nach dem Verlust des Heiligen Landes folgte der Lazarus-Orden dem Beispiel der anderen ritterlichen Gemeinschaften und verlegte seinen Wirkungskreis nach Europa, mit einem Schwerpunkt in Frankreich, Deutschland und Sizilien. So residierte der Großmeister im Schloss Boigny nahe Orleans. Seedorf im Schweizer Kanton Uri wurde zur wichtigsten Kommende im deutschsprachigen Raum, zeitweise als Residenz des Landkomturs.
Zwar verfügte Papst Innozenz VII. die Inkorporation des Ordens in den Johanniter-Orden, blieb dies aber faktisch auf wenige Gebiete beschränkt. Vor allem der französische König, der 1308 die Lazariter unter seinen Schutz gestellt hatte, protestierte, negierte die Bulle und stattete den Orden mit Privilegien aus. Papst Gregor der XVI. reaktivierte den Lazarus-Orden schließlich auch auf italienischem Boden wieder und bewirkte auf Sizilien die Verbindung mit dem Orden des Heiligen Mauritius, einem dynastischen Orden des Hause Savoyen, der als eigenständiger Orden ebenfalls bis heute besteht, nachdem er Verdienstorden des italienischen Königreichs war. In Frankreich war der Orden trotz königlicher Privilegien institutionell unabhängig. Der 1607 von König Heinrich IV. von Frankreich gegründete Orden unserer lieben Frau vom Berge Kamel führte zur Schaffung eines gemeinsamen Großmeisteramtes für beide Gemeinschaften, die jedoch stets im Plural bezeichnet wurden und auch in der Aufnahmepraxis der École Militaire unterschieden. Die Mitgliedschaft im Orden unserer lieben Frau war nämlich Voraussetzung dafür, dass herausragende Absolventen Mitglied des Lazarus-Ordens wurden.
Der Almanach Royal der Regierungszeit Ludwigs XVIII. listet den Lazarus-Orden weiterhin als bestehenden Orden auf und nennt 1824 Ludwigs Nachfolger Karl als Protektor des Ordens. Die Entwicklung der Folgejahre ist wissenschaftlich umstritten. Jedoch folgen zahlreiche neutrale Historiker der These von Peter Bander van Buren, dass 1830 – nach der Julirevolution und der Abdankung Karls – einige Offiziere den Orden weiter geführt haben. Auch die Ordensgüter, die mit einer Mitgliedschaft verbunden waren, jedoch recht autonom von der zentralen Ordensregierung agieren konnten, sogenannte Erbkommenden, wurden durch etwaige Aufhebungsbeschlüsse königlicher Institutionen durch die Nationalversammlung nicht betroffen und sind bis in die 1930er Jahre nachweisbar. Seit den 1840er-Jahren stellte sich die Gemeinschaft unter den Schutz des damals einzigen mit der römischen Kirche verbundenen Patriarchen von Jerusalem, dem Oberhaupt der melkitisch-griechisch-katholischen Kirche. Noch heute fungiert der Patriarch als geistiger Protektor und hat die Kontinuität mit seinen Amtsvorgängern seit dieser Zeit zuletzt 2012 in Kevelaer bestätigt. Daneben sind zahlreiche Aufnahmen, vor allem innerhalb des früheren französischen Adels, aber von Mitgliedern deutscher regierender Häuser, bis zum Ende des ersten Quartals des 20. Jahrhunderts bezeugt. 1930 schließlich wurde unter neuen Statuten der Orden erneuert und der Herzog von Sevilla zum Generalleutnant, seit 1935 wieder unter der Bezeichnung Großmeister, ernannt.
Trotz Krisen und institutionellen Veränderungen kümmert sich die Gemeinschaft seit 900 Jahren um die Ausgestoßenen der Gesellschaft, seien es Lepröse oder Menschen, die auch heute noch in ihrer sozialen Position eingeschränkt sind. Im Geiste des Evangeliums versuchen tausende Damen und Ritter des Ordens weltweit kleine und größere Nöte zu lindern und haben versprochen, den Auftrag der christlichen Nächstenliebe in einer ganz besonderen Form zu leben.